„Sollte ich einmal dement werden…“

Was Menschen sich wünschen

Susanne Stupp

Sollte ich einmal dement werden,
dann wünsche ich mir von meiner Familie und meinen Freunden, dass sie nicht vergisst, dass mein Herz nicht dement wird und ich sie nie wirklich vergesse! Von der Gesellschaft wünsche ich mir, dass man mir die Teilhabe am gesellschaftlichen Alltag ermöglicht. Das schafft soziale Kontiniutät, Unterstützung und damit ein gutes Stück mehr Lebens-qualität. Ich wünsche mir, dass es in Zukunft überall selbstverständlich ist, dass Demenzerkrankte zum Beispiel an kulturellen Veranstaltungen teilnehmen.
Auch das trägt mit dazu bei, den heimtückischen
Gedächtnisverlust zu bekämpfen.

Susanne Stupp, Bürgermeisterin

 

Purple Schulz
Purple Schulz

Sollte ich tatsächlich eines Tages dement werden, wünsche ich mir von meiner Familie vor allem Liebe. Denn nur die Liebe ermöglicht es ihr, mich auch dann zu ertragen, wenn ich mal unerträglich sein sollte.
WIE wir werden, wenn wir dement sind, wissen wir nicht. Jeder ist es auf seine Weise. Auf jeden Fall brauche ich dann Zuwendung und Anteilnahme, aber auch klare Strukturen. Ich wünsche mir auch Geduld, damit ich sogar zum zehnten Mal die gleiche Antwort auf meine zum zehnten Mal gestellte gleiche Frage bekomme. Denn ich stelle sie ja nicht aus Bockigkeit, sondern weil ich die Antwort vergessen habe. Ich möchte, dass in meinen Kleidern kleine Etiketten sind, auf denen mein Name und meine Adresse stehen. Meine Frau achtet darauf, dass ich einen Hinweis auf meine Krankheit in meinem Portemonnaie mit mir führe. Sollte ich trotz aller Vorsichtsmaßnahmen irgendwann mit einer Tube Zahnpasta in der Hand auf einer Kreuzung stehen, wünsche ich mir Mitmenschen, die nicht kopfschüttelnd an mir vorbeigehen, sondern mich an der Hand nehmen und mich beruhigen. Die mich nach Hause bringen.
Natürlich kann es sein, das ich nicht mehr zuhause versorgt und gepflegt werden kann. Dann möchte ich in eine Einrichtung, in der Menschen Zeit haben, sich um mich zu kümmern. Ich möchte nicht nur gefüttert und gewaschen werden.
Ich möchte immer noch Anteil am Leben haben. Man sollte mir darum den Zugang zur Musik ermöglichen, und das nicht nur einmal im Jahr zum Adventssingen.
Die Musik ist ein Weg zum Herzen, der auch bei Demenz immer begehbar ist. Man sollte mir neue Eindrücke ermöglichen, mich nicht von Kunst und Kultur ausschließen. Und lasst Kinder, Hunde und Katzen zu mir kommen. Mit denen klappt die Kommunikation meist besser als mit den Erwachsenen.

Purple Schulz, Künstler

 

Christof Dürig
Christof Dürig

Mir fällt es schwer, mich in diese Krankheit und die damit verbundene Situation hinein zu denken: Was empfindet der Kranke? Was werde ich empfinden, wahrnehmen oder auch nicht…?
Ich wünsche mir, dass die Menschen um mich herum mit mir gut und verständnisvoll umgehen. Geduldig sind. Versuchen, mich zu verstehen. Ich „ahne“, dass dies (für die anderen) sehr anstrengend werden kann…
Ich hoffe, dass der Glaube an den lebendigen Gott mir auch in der Krankheit hilft, dass ich das Ziel des Lebens nicht aus dem Auge verliere. Der Glaube aber ist im „normalen“ (gesunden) Alltag etwas anderes als in schwierigen Situationen, wo es – biblisch gesprochen – um das Kreuztragen geht.
Ich fürchte, dass wir aus dem Stress und der Hektik des Alltags nicht herauskommen, um wirklich mehr Zeit füreinander zu haben.
Irgendwie komme ich nicht so recht weiter, weil ich – Gott sei Dank –
im Moment gesund bin. Vielleicht ist die Frage ein Anfang, nachzudenken.
Es ist (und bleibt?) die Rat- und Hilflosigkeit…

Christof Dürig, kath. Pfarrer

 

Rolly Brings
Rolly Brings

Sollte ich einmal dement werden,
wünsche ich mir, dass meine Familie erkennt, dass ich je nach Art der Erkrankung gewisse Leistungen nicht mehr bringen kann – nicht, weil ich das nicht will, sondern, weil ich es nicht mehr kann: seien es intellektuelle Fähigkeiten, wie das Nachlassen des Gedächtnis, der Sprache; seien es die  alltägliche Handlungen wie Rasieren, Waschen, Toilette benutzen oder aber das Vergessen des Heimweges, meiner Adresse, ja sogar meines Namens. Auch wenn ich dement bin, werde ich immer noch meine persönliche Geschichte haben und mein Herz wird immer nach das Alte sein.
Wenn ich einmal dement werden sollte, so weiß ich heute aus Erfahrung, dass es dann für Verwandte, Freunde, Bekannte, Kollegen und Nachbarn nicht leicht sein wird mit mir. Ich wünsche mir, dass ich so genommen werde, wie ich als Mensch mit Demenz bin und nicht, dass meine ehemalige, in jahrelanger Bekanntschaft gewachsene Umwelt sich zurückzieht und mir zusätzlich zu meiner Erkrankung auch noch Isolation = Einsamkeit beschert.
Ich selbst versuche das mit Freunden, die dement sind, ebenso zu handhaben. Ich wünsche mir jetzt schon einen anderen Umgang der Politik mit dieser Thematik. Der humane Wert einer Politik zeigt sich darin, wie sie mit den „Schwächsten“ in der Gesellschaft umgeht: mit Kindern, Alten, Kranken, Armen und Flüchtlingen. Heute werden Milliarden in die medizinisch-pharmazeutische Forschung investiert, um zukünftig Demenz zu verhindern oder zu mildern. Das ist gut und wichtig, nützt aber zurzeit hauptsächlich den Pharmakonzernen.
Ich möchte, dass ebenso viele Milliarden in Bildung und Ausbildung investiert werden, in Kita, Schule, Hochschule und Alten- und Krankenpflege. Die Menschen, die sich diesen Berufen widmen, müssen so ausgebildet und entlohnt werden, dass sie ihren Beruf gut und in Sicherheit ausüben können. Da ich weiß, dass diese Politik, wie ich sie mir wünsche, „Zukunftsmusik“ ist, unterstütze ich jetzt schon als Künstler Initiativen z.B. Hospize, die sich um Alte, Kranke, Sterbende und deren Angehörige kümmern.
Diese Arbeit ist für mich unbezahlbar – und wir brauchen Menschen, die sich widmen.

Rolly Brings, Künstler

 

Meine Lebensverfügung
Ich möchte im Sommerregen nach draußen gefahren werden, um den Regen zu spüren, die warmen Tropfen, die auf meinen Körper klatschen. Sollte sich danach herausstellen, dass ich eine Lungenentzündung bekomme, so ist das nicht schlimm, auch nicht, wenn deren Verlauf tödlich ist. Ich übernehme die Verantwortung.
Auf jeden Fall will ich einmal am Tag mit Süßigkeiten versorgt werden. Die von mir bevorzugten Schokoladenmarken sind von Milka „Nuss-Nougat“, wenn es mit gut geht, und von Lindt „Zartbitter“, wenn es mir nicht so gut geht. Ich halte diesen Wunsch an dieser Stelle schriftlich fest, damit keiner auf die Idee kommt, mir meine tägliche Dosis Schokolade mit dem Hinweis auf meinen erhöhten, ja lebensbedrohlichen Blutzuckerwert zu verweigern.
Ich liebe zauberhafte und poetische Momente und ich liebe erotische Augenblicke. Man darf mich ungefragt berühren, drücken, mit mir schmusen, kuscheln und zärtlich sein. Ich werde das auf keinen Fall als übergriffiges Verhalten deuten.
Sollte ich nach einem Schlaganfall meine Arme und Hände nicht mehr bewegen können, will ich, dass man mir abends eine Zigarre zum Mund führt und mir die Gelegenheit verschafft, ein paar Züge zu machen. Ich bestehe auf einem kleinen Glas Wein zum Mittagessen, auch für den Fall, dass meine Leberwerte keinen weiteren Tropfen Alkohol zulassen wollen.

Erich Schützendorf, Autor